In der Nähe von interni by inhofer: Ulmer Ikonen - ein architektonisches Meisterstück

Bild Münstertor abends Foto © Stadtarchiv Ulm/Nadja Wollinsky

In der Nähe von interni by inhofer: Ulmer Ikonen - ein architektonisches Meisterstück

Sehenswerter Abstecher: Ulmer Ikonen

Das Geschäftshaus Münstertor in Ulm von Stephan Braunfels Architekten stellt den historischen Maßstab wieder her.


Wo heute Ulms Neue Mitte Stadtplaner und Architekten zum Staunen bringt, wogte bis kurz nach der Jahrtausendwende noch der Verkehr auf sechs Fahrspuren. Das Kaufhaus ›Münstertor‹ ist ein Meilenstein der „Neuen Mitte“. Und ein besonders markanter. Das Baugrundstück, welches für das Gebäude zur Verfügung stand, war eine Herausforderung. Ein Dreieck! Doch zum Glück traf die ungewöhnliche Form auf einen mit Einfallsreichtum gesegneten Architekten. Wenn schon Torten(grund-)stück, dann obendrauf auch das passende Meisterstück dazu. Stephan Braunfels, ein Star-Architekt aus München. Braunfels steht für spätmoderne Sachlichkeit, für nüchterne Eleganz, für fein austarierte Proportionen – und für höchste Ansprüche, was die Verarbeitung seines Lieblingsmaterials betrifft, den Sichtbeton.

Der moderne Dreiecks-Bau "Münster Tor" mit Blick auf das Ulmer Münster
Der moderne Dreiecks-Bau "Münster Tor" mit Blick auf das Ulmer Münster

Wie mit einer samtenen Haut überzogen schimmert das Gebäude in wechselnden Tönen, je nach Licht und Tageszeit. Ein Erlebnis für Architektur-Kulinariker. Die ausführende Baufirma hatte im Vorfeld ein Probestück abliefern müssen zum Beweis ihrer Fertigkeit im Betonbau. Makellos musste sie sein, die vor Ort gegossene Haut. Ein akkurater Spitz kam als Aufgabe noch dazu. Er ist der besondere Clou dieses Gebäudes. Wer sich in der Tradition der klassisch-modernen Architektur bewegt, darf in ihm aber ruhig auch einen Schiffsbug erkennen.

DIE NEUE MITTE ULMS

Das „Münstertor“ ist prägender Teil der neuen Mitte Ulms. Kaum ein anderer Ort steht mehr für das moderne Ulm. Hier hat man gar nicht erst versucht, die neu entstandenen Gebäude in die historische Altstadt zu integrieren. Die zeitgenössische Architektur bildet einen harten Kontrast zu den umliegenden alten Teilen Ulms. Aber wer Neues schaffen will, muss wohl kompromisslos denken. Was anfangs mit viel Skepsis von den Ulmern beäugt wurde, ist heute ein über die Grenzen von Ulm architektonisches Meisterwerk.

Die neue Mitte ist die Pulsader der Stadt, ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Tiefgarage, Neue Straße und Buslinien kommen hier zusammen. Daneben ist hier Platz geschaffen worden: für Kunst, das Einkaufen und das Genießen. Aber sie ist heute eine Pulsader des Lebens, der Begegnung und nicht mehr des reinen Automobil-Verkehrs, wie damals. Der Neubau für die Sparkasse schließt eine durch den Zweiten Weltkrieg entstandene Lücke in der Altstadt von Ulm und formuliert an dieser zentralen Stelle neuen städtischen Raum. Auf der einen Seite befinden sich das Ulmer Münster und das Stadthaus von Richard Meier, auf der anderen das mittelalterliche Rathaus und die Neue Stadtbibliothek von Gottfried Böhm. Das Sparkassengebäude gliedert sich in zwei Riegel, die sich im spitzen Winkel durchdringen und zur Rathausplatzseite einen Spalt belassen: eine gläserne Fuge

Die neue Mitte in Ulm von oben mit Münstertor, altem Rathaus und gläserner Stadtbücherei

DAS MÜNSTERTOR IN ULM

Architektonisch ist es ein Musterbeispiel, wie der Architekt. Braunfels seit jeher arbeitet und Lebensraum formt. Ein Sichtbeton-Ensemble in technischer Perfektion – abgeliefert vom Meister des Sichtbetons – komplettiert die Neue Mitte Ulms. Wie viel Erfahrung und Wissen um betontechnologische Finessen in seine Realisierung eingeflossen ist, sieht man ihm nicht an. Und vieles bleibt Bürogeheimnis. Aber auch unter gestalterisch städtebaulichen Aspekten begeistert der Entwurf.
Die Antwort auf ein historisch geprägtes Ambiente kann durch Anpassung oder durch Konfrontation gegeben werden; unentschlossenen Zwischenlösungen mangelt es meist an Qualität und Überzeugungskraft. Der Münchner Architekt Stephan Braunfels wählt immer den zweiten Weg. Für neohistoristische Etüden hat er sich nie erwärmen können. Geschult an der klassischen Moderne versucht er, die Baugeschichte fortzuschreiben. Und er wählt immer Beton, ob bei den Parlamentsbauten in Berlin, der Museumsarchitektur in München oder eben der Altstadtbaukunst in Ulm. Beton als ästhetische Aussage, aber auch als fügsames Material für die Konkretisierung skulptural zum Ausdruck kommender Kräfte und Bewegungen.

Sichtachsen sind auf das nahe Münster bezogen, die Gebäudehöhe dem Rathausturm und der Nachbarbebauung angepasst. (Schau-)Fensterflächen im Erdgeschossbereich signalisieren, dass hier für Stadtfaneure gebaut wurde. Und mit glatten Betonflächen in den geschlossenen Obergeschossabschnitten bekennt sich der Architekt zur Moderne, die er stadtverträglich fortschreiben will. Auf die Spitze getrieben wird die Formbarkeit des Betons an der Kaufhausecke, an der sich der Fußweg gabelt: Rechts geht es zum Münsterplatz. Nun spielt die Dachaufsicht an dieser vom viel besuchten Münster aus gut zu sehenden Stelle natürlich eine besondere Rolle. Auf dem Kaufhaus lockt eine Dachterrasse mit dem Restaurant „BellaVista“ die Flaneure zur Pause und zur Aussicht an.

Stararchitekt Stephan Braunfels aus München

STEPHAN BRAUNFELS - DER STARARCHITEKT

Stephan Braunfels begreift Architektur immer auch als Stadtbaukunst. Jedes seiner Gebäude steht in historischen städtebaulichen Zusammenhängen. Der Architekt wuchs in Aachen und München auf. Er studierte Architektur und Städtebau an der Technischen Universität München. Er entwarf und erbaute von 1995 bis 2002 die Pinakothek der Moderne in München. Weitere wichtige Projekte waren der Parlamentsneubau des Paul-Löbe-Hauses in Berlin 2001 und das Marie-Elisabeth-Lüders-Haus (Parlamentsbibliothek) in Berlin 2002/2003.

Foto © imago images/Wolfgang Maria Weber

EINE ANDERE ULMER IKONE

Drei Flächen und ein Besenstil machen den Ulmer Hocker zum multifunktionalen Kultobjekt. Erfunden wurde der berühmte Holzquader 1954 unter Mitwirkung von Max Bill. Er war der erste Rektor der Ulmer Hochschule für Gestaltung, die bis heute als international bedeutendste Design-Schule nach dem Bauhaus gilt.

Der Ulmer Hocker in verschiedenen Farben - ein multifunktionales Kultobjekt
graue Linie

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